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Veranstaltungen mit LehrerInnen und SchülerInnen an der Deutschen Schule Barcelona

zum Thema Interkultureller Humanismus aus philosophischer Sicht - Ein Bericht von Klaudius Gansczyk

Die Idee für einen Besuch von Prof. Mall und mir in der Deutschen Schule Barcelona entstand nach dem Philosophischen Gastmahl zum Thema „Theorie und Praxis eines interkulturellen Humanismus“ im Hause der Inderin Saraswati Albano-Müller, an dem auch Dr. Düver, der damalige Schulleiter der Deutschen Schule Barcelona, - im Rahmen einer Dienstreise nach Deutschland - teilnahm. Über die Möglichkeiten eines interkulturellen Humanismus diskutierten Juden, Christen, Moslems, Hindus, Buddhisten und Atheisten jeweils im Anschluss an einen Vortrag des indischen Philosophen Prof. Ram Adhar Mall, der sich seit 30 Jahren mit der europäischen Philosophie auseinandersetzt und des ägyptischen Philosophen Prof. Hassan Hanafi, einem moslemischen Berater des InterActionCouncil. Da die Deutsche Schule Barcelona ein interkulturelles Zusammenleben von Schülerinnen und Schülern, aber auch der Lehrerschaft verkörpert, schätzte Dr. Düver das mögliche Interesse an einer philosophischen Reflexion eines interkulturellen Humanismus an der DSB als hoch ein.

Das Anliegen der Gesellschaft für interkulturelle Philosophie, der philosophisch interessierte Mitglieder aus vielen Ländern der Welt angehören, besteht darin, im Zeitalter der Globalisierung, die Philosophien der europäischen, chinesischen, indischen, lateinamerikanischen, afrikanischen und anderer Kulturen miteinander ins Gespräch zu bringen, um die Verstehensmöglichkeiten, aber auch die Nichtverstehensmöglichkeiten bei interkulturellen Begegnungen auszuloten, vor allem aber, um eine Geisteshaltung zu entwickeln und zu pflegen, die solche Begegnungen fruchtbar werden lässt.

Diese einem interkulturellen Humanismus zugrundeliegende Geisteshaltung stand im Zentrum der beiden Vorträge, die Prof. Mall am 21. September 1998 vormittags vor ca. 80 Schülerinnen und Schülern und nachmittags vor ca. 40 Lehrerinnen und Lehrern hielt.

Für die Schülerinnen und Schüler entwickelte Prof. Mall einige Grundgedanken der interkulturellen Philosophie, indem er zunächst in einem historischen Rückblick auf verschiedene „Geburtsorte der Philosophie“ aufmerksam machte. Er verwies auf den Begriff „Weltachsenzeit“ des Philosophen Karl Jaspers, der zum Ausdruck bringt, dass Philosophie nicht die Erfindung einer einzigen Kultur sei. Jaspers fiel nämlich auf, dass um ca. 600 v.Chr. Konfuzius und Lao-tse in China, die Verfasser der Upanishaden und Buddha in Indien und die Vorsokratiker in Europa eigene philosophische Systeme begründeten. Die Gleichwertigkeit der verschiedenen Philosophien, so Mall, ging durch den Kolonialismus und Imperialismus des Westens verloren, was sich u.a. auch darin äußerte, dass die Missionare ihr Gedankengut nur „exportieren“, aber fremdes Gedankengut nicht „importieren“ wollten. Die anderen Kulturen sollten von der westlich-europäischen Kultur lernen und deren Wahrheiten erkennen, ohne dass bei den Europäern die Bereitschaft ausgeprägt war, die übrigen Weltanschauungen ernst zu nehmen. Mit dem Ende des Kolonialismus und des Imperialismus habe sich heute die Situation grundlegend verändert: Die Kulturen interpretieren sich nun gegenseitig, ohne dass die Interpretation der westlichen Kultur als die einzig wahre akzeptiert würde.

Eine Philosophie im Vergleich der Kulturen nehme neben Gemeinsamkeiten - z.B. eine allmähliche Emanzipation vom mythischen Denken - aber auch Unterschiede wahr:

Während die Griechen im Staunen und sich Wundern den Ursprung für das Philosophieren erlebten, entdeckte die indische Kultur im Leiden, zu dem auch Dummheit und Unwissenheit als intellektuelle Formen des Leidens gehören, den Ursprung für das philosophische Denken. Die Überwindung des Leidens durch Überwindung der Unwissenheit, z.B. durch das Nirwana des Buddhismus, wurde für viele Asiaten zu einem zentralen Lebensmotiv.

Mit der „Interkulturalität“ stellte Prof. Mall schließlich diejenige geistige Haltung vor, die es ermöglicht, dass verschiedene, traditionell gewachsene Weltanschauungen miteinander im Einklang leben können, ohne dass weitgehende oder gar völlige Übereinstimmungen vorherrschen müssen. Zu dieser Haltung gehöre vor allem eine Bescheidenheit im religiösen, philosophischen und auch politischen Wahrheitsanspruch, die einem Absolutheitsanspruch an Wahrheit, durch den alle religiösen, philosophischen und auch politischen Fanatismen gekennzeichnet sind, entgegensteht. Die von solch einer Haltung geprägte interkulturelle Philosophie strebe eine Kommunikationsfähigkeit an, die die eigene Position vertritt, ohne sie anderen aufzwingen zu wollen. Kompromissbereitschaft und Toleranz sind dementsprechend Kennzeichen dieser Haltung.

Die nachfolgende Diskussion entzündete sich an der Frage eines Schülers, wie man andere Weltanschauungen, z.B. Religionen, denn verstehen könne, wenn man deren Glauben nicht teile. Es zeigte sich, dass diese Frage auch von intrakultureller Relevanz war. Als Beispiel wurden die unterschiedlichen Weltanschauungen der Physiker Albert Einstein, dem Begründer der Relativitätstheorie, und Niels Bohr, dem Mitbegründer der Quantenphysik gegenübergestellt: Während Albert Einstein fest daran glaubte, dass das Weltgeschehen durch Gesetze determiniert sei, vertrat Niels Bohr eine weltanschaulich entgegengesetzte Position, bei der der Zufall im Weltgeschehen eine fundamentale Rolle spielt, so dass das Weltgeschehen nicht determiniert sei. Als entscheidend und vorbildhaft wurde hervorgehoben, dass die beiden Nobelpreisträger sich bei ihrer engagierten und intensiven Auseinandersetzung um gegenseitiges Verständnis bemühten, ohne die jeweils eigene Weltanschauung aufzugeben bzw. die des anderen zu übernehmen. Ein Wahrheitsanspruch wurde zwar erhoben und auch entschieden vertreten, ohne jedoch die Gegenposition für unsinnig zu erklären oder gar zu verteufeln.

Solch eine Haltung strebt auch die interkulturelle Philosophie im Umgang mit den Weltanschauungen anderer Kulturen an.

Vor dem Lehrerauditorium hielt Prof. Mall einen Vortrag, in dem er die Gleichwertigkeit der Kulturen behauptete, die Europäisierung der Welt diagnostizierte, die mit der Machtausbreitung der Europäer im 19. Jahrhundert einhergehende asymmetrische Verstehenskultur erhellte und - wie bereits den SchülerInnen und Schülern - das zentrale Anliegen einer „Interkulturellen Philosophie“ vorstellte, nämlich die Zurückweisung eines absoluten Wahrheitsanspruchs, der oft mit Intoleranz, Ideologisierung und Fanatisierung verbunden ist, und die Ausbildung einer geistigen Einstellung oder Haltung, die den Umgang mit dem Anderen, Fremden, Unverstandenem erleichtert und dadurch ein friedliches Zusammenleben fördert.

Prof. Mall unterschied vier Perspektiven der Interkulturalität: Die philosophische, die religiöse, die politische und die pädagogische, wobei er die pädagogische Perspektive als die wichtigste bewertete, da die Bildung die anderen drei Perspektiven einerseits reflektiert und andererseits beeinflusst.

Die anschließende, engagierte Diskussion knüpfte an diesen Gedanken , dem noch Ausführungen zum Verhältnis zwischen der indischen und der europäischen Logik einerseits in Beziehung zur indischen und europäischen Ethik andererseits folgten, an.

Viele Beiträge von Kolleginnen und Kollegen zu philosophischen, religiösen, politischen und sogar naturwissenschaftlichen Fragestellungen machten deutlich, dass die pädagogische Perspektive in der Tat die anderen Perspektiven reflektiert. Insbesondere wurde die Bedeutung der Weltanschauungen für die verschiedenen Perspektiven thematisiert. Dass die Weltanschauung selbst vom naturwissenschaftlichen Denken nicht zu lösen ist, zeigte sich an dem Hinweis auf einen deutschen Physiknobelpreisträger, der aus ideologischen Gründen Einsteins Relativitätstheorie als Ausgeburt des jüdischen Geistes ablehnte und verachtete. Dies bot ein Gegenbeispiel zu dem vom Vormittag, bei dem Einstein und Bohr, trotz weltanschaulicher Gegensätze einander mit Achtung und Respekt begegneten.

Als bedeutsam stellte sich die Frage heraus, ob die Zurückweisung eines absoluten Wahrheitsanspruchs nicht den Glauben an höhere, „wahre“ Prinzipien und damit auch eine psychische Triebfeder für ein tiefgreifendes Engagement schwächen würde. Das Beispiel aus der Vormittagsveranstaltung konnte dieses Bedenken erhellen: Einsteins tiefer Glaube an die „Wahrheit“ eines deterministischen Weltbildes hat ihm genauso viel psychische Energie für seine geistige Auseinandersetzung mit Niels Bohrs physikalischer Theorie gegeben wie umgekehrt Niels Bohrs Glaube an ein indeterministisches Weltbild bei der Kritik an Einsteins Theorie. Keiner konnte den anderen zu seinem Glauben „bekehren“.

Analoge Beispiele aus dem religiösen, politischen , aber auch innerfamiliären Bereich - wie genau versteht man eigentlich die eigene Frau, den eigenen Mann, die eigenen Kinder in der Art, wie sie die „Welt anschauen“ - führten zu dem Fazit, dass es der interkulturellen Philosophie nicht um Bekehrungen geht, sondern um einen Vergleich der Standpunkte, bei dem keiner zu einem anderen Standpunkt gedrängt oder gar genötigt werden sollte. Mit dem Blick auf - sowohl interkulturelle als auch intrakulturelle - fundamentalistische Standpunkte stellte sich allerdings die Frage, wie weit sie toleriert werden können. Die Diskussion ergab als einleuchtende Antwort, dass die toleranten Menschen einflusslos und wehrlos würden, wenn es für die intoleranten keine Grenzen gäbe, die die toleranten schützen würden.

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