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Reflexionen zur Veränderung der eigenen Einstellung zu weltpolitischen Themen (12. 2)

„Es ist viel passiert. Lasse ich das letzte Quartal einmal Revue passieren, denke ich pers önlich zuerst an das Buch ,,Erdpolitik", in dem Ernst Ulrich von Weizsäcker schonungslos unsere momentane egozentrische und ökonomisch orientierte Lebensweise sowohl auf kleinbürgerlicher als auch auf globaler Ebene schildert, ebenso aber die Hoffnung auf ein zukünftiges freies Leben mit der Natur/Mitwelt durch ein neues Wohlstandsmodell nicht verblassen läßt, so daß weder ein globaler ökologischer Kollaps noch eine sogenannte Ökodiktatur entstehen kann. Mit diesem Quartal assoziiere ich aber auch die mir so wichtigen Gespräche bei Frau Albano-Müller, das Treffen mit Herrn Hösle, das außerschulische Treffen bezüglich der eigenen philosophischen Entwicklung sowie die teilweise wertvolle Unterrichtsdiskussion. Was ich im folgenden aufgreifen werde, dient nicht zur inhaltlichen Wiederholung des Unterrichtsstoffes (siehe Protokoll). Vielmehr möchte ich meine innere Einstellung zu einigen mir wichtigen Themen verdeutlichen.

Ich muß ganz ehrlich sagen, daß ich nie gedacht hätte, daß mich Themen wie Ökonomie und Politik auch nur im Entferntesten interessieren könnten. Aus diesem Grunde begegnete ich anfangs dem Buch ,,Erdpolitik" mit einer gewissen Skepsis; so ganz nach dem Motto:"Das verstehe ich ja sowieso nicht". Da wir ständig bezug auf das aktuelle Geschehen nahmen, sah ich mich jedoch gezwungen mich per Weltspiegel Tagesschau und Zeitung über das Weltgeschehen zu informieren. Platt formuliert sind Politiker für mich stets Personen gewesen, die im Grunde alle das gleiche auf unterschiedliche Art und Weise sagen, was sie dann schließlich und endlich sowieso nicht erfüllen können.

Nichtsdestoweniger vorstellbar waren die Grausamkeiten gegenüber Mensch und Natur; dann merkt man erst, wie machtlos und ohnmächtig man angesichts dieser Verbrechen ist. Das Leid in der Welt zu mindern, war mir als Einzelperson also eh nicht möglich.Warum also sich selbst verrückt machen, wenn schon wieder mal ein Krieg ausgebrochen ist?

Diese Verdrängungstaktik trägt zwar nicht gerade dazu bei, den geistigen Horizont zu erweitern; doch ist es durchaus praktisch auf diese Weise zu verfahren. Im Laufe der Zeit hat sich meine Einstellung aber langsam geändert und ändert sich noch. Nun bedeutet es weniger ein Zwang für mich, für die nationalen und globalen Aktionen Interesse zu zeigen; es ist mir zur Gewohnheit geworden. Außerdem finde ich es sehr interessant nachzuvollziehen, inwiefern Länder trotz unterschiedlichsten Kulturen durch den zunehmenden Handel, durch die Technologie und somit durch die Wirtschaft miteinander vernetzt und abhängig sind. Trotzdem -auch wenn durch die zunehmende Kommunikationsbereitschaft Interkulturalität möglich ist und sich die Erdbewohner sozusagen näher kommen- sind in gleichem Maße Probleme damit verbunden , mit denen sich nun wesentlich mehr Länder auseinander setzen müssen als nur das unmittelbar betroffene Krisengebiet (Flüchtlingshilfe, Seuchen oder Asyl). Doch im Augenblick wird die Angst vor einem ökologischen aber auch ökonomischen Kollaps je größer, desto mehr ich über die Welt erfahre. Andererseits erkenne ich jetzt erst langsam, wie wenig ich eigentlich über die Welt, die meine Heimat ist, weiß. Vielleicht könnten wir den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur dadurch erlernen, indem wir uns wesentlich mehr über unsere Heimat Erde informieren, so daß

auf diese Weise ein Bewußtseinswandel eingeleitet werden könnte. An dieser Stelle erinnere ich mich an Weizsäckers letzten Satz aus dem Buch ,,Erdpolitik", der aussagte, daß es die Erde verdient hat als unsere Heimat angesehen zu werden und die Heimat, das wissen alle Kulturen, zerstört man nicht. Ich bin der Meinung, daß diese Aussage eine reelle Chance hat, tja wenn wir die Erde wirklich lieben und schätzen lernen. Doch wie bereits erwähnt, müssen wir sie deshalb erst kennenlernen. Mir ist bewußt, daß diese Unterrichtsreihe nicht die Funktion hat, mich das Fürchten vor der Zukunft zu lehren, sondern mir die Augen vor der derzeitigen überaus schlechten Position der Natur zu öffnen, damit sich langsam aber sicher ein Bewußtseinswandel zu einem verantwortungsvollen Leben mit der Natur/Mitwelt vollziehen kann. Was mich bei Weizsäcker am meisten beeindruckt hat, ist seine ausgesprochene Realitätsnähe, denn er kann seinen Standpunkt, also das Eintreten für die Natur, rational basierend auf seiner Effizienztheorie begründen und hat so die Fähigkeit selbst Ökonomen zu beeinflussen, ohne in ferne Welten, die im Moment für uns einfach nicht vorstellbar sind, abzudriften und auf diese Weise an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Er berücksichtigt die wirtschaftliche und somit die gesellschaftliche Position; verzichtet auf Traumtänzerei; will aber auch keine Horrorvisionen aufkommen lassen, die sich wahrscheinlich noch lähmend auf das Handeln auswirken. Da bekannterweise die Kluft zwischen dem Handeln und dem Denken sehr groß ist, muß sich dem Bewußtseinswandel demzufolge aktives Handeln anschließen, damit tatsächlich eine Verbesserung zu spüren ist. Denn was nützt eine tugendhafte innere Einstellung der gefährdeten Natur oder hungernden Menschen, wenn man nicht Farbe bekennt und selbst handelt? Sicher ist letztendlich, daß wir unseren -nach dem kategorischen Imperativ- unmoralischen Lebensstil nicht vor der Natur, der Gesamtbevölkerung und unseren Nachkommen verantworten können, sonst wäre die Zeit bis zum ökologischen Kollaps quasi an zehn Fingern abzuzählen. So ist auch hier aktives Handeln unbedingt von Nöten, auch wenn es uns diesmal keinen Profit verspricht, wir uns sogar eher mit dem Geldausgeben einschränken müssen. Nach Weizsäcker würde sich aber in gleichem Maße ein Wohlstand entwickeln; für ihn eine neue Dimension, die nicht mit Geld aufzuwiegen ist, also eine Art innere Zufriedenheit, daß man richtig gehandelt hat, daß man wieder frei und guten Gewissens die saubere Luft einatmen kann, daß man sich an der Artenvielfalt der Tier- und Pflanzenwelt erfreut oder einfach mit Freunden tiefe Gespräche führt und so den Genuß des geistigen Austausches gemeinsam empfindet.Yehudi Menuhin spürt diesen emotionalen Zustand bereits, da er eine unwahrscheinlich starke Sensibilisierung für die Schönheit der Natur entwickelt hat und in ihr aufgehen möchte. Durch seine Musik, die er als eine Addition einer Summe von Schönheit versteht, möchte er dem Zuhörer das Empfinden für die Schönheit der Natur vermitteln. Dies wäre auch eine Möglichkeit, eine Beziehung zwischen der Natur und somit der Welt aufzubauen, und zwar indem man durch die Musik die Natur zu schätzen lernt und sie so behandelt, daß man sich in ihr heimisch fühlen kann.

Die beiden Geprächsnachmittage/abende bei Frau Albano-Müller und mit Herrn Hösle haben mich nicht weniger stark beeindruckt. Die Ehrlichkeit, die in diesen Gesprächen zum Ausdruck kam, war mir besonders wichtig, denn das unterscheidet ein tiefgreifendes Gespräch von einem oberflächlichen Small-talk. Wir haben uns zu Dr. Malls Vortrag und zu einem Nachmittag mit Herrn Hösle entschlossen, weil uns die "Philosophie als Denk- und Lebensweg" interessierte und uns Diskussionen zu konkret unserer philosophischen Entwicklung wichtig waren. Diese Gespräche waren bei weitem nicht oberflächlich. Wir erzählten uns ehrlich, was uns innerlich bewegt oder mit welchen philosophischen, religiösen oder sozialen Konflikten wir gerade konfrontiert werden. Hier wurde mir zum ersten Mal bewußt, daß ich gewiß nicht die Einzige bin, die über bestimmte Fragen wie Gott, die Existenz, den Determinismus und die Zukunft wieder und wieder nachdenkt. Ich fühlte mich richtig verstanden: Es wurde zugehört und man hat dem anderen zugehört und diese anderen Gedanken in die eigenen miteinbezogen. An diesen beiden Tagen ist mir aufgefallen, daß ich nach einer solchen wichtigen Unterhaltung, geradezu stundenlang hätte weiterreden können, ohne das Gefühl zu haben, immer auf dergleichen Sache herumzukauen. Durch das Zuhören erreicht man auch eine Art höhere Konzentrationsfähigkeit und innere Ruhe, so daß die Umgebung verschwimmt und nicht mehr vorhanden zu sein scheint. An dem Nachmittag mit Herrn Hösle habe ich gespürt, daß das Bedürfnis nach philosophischen Fragen bei vielen Schülern sehr wohl vorhanden ist, man sollte uns aus

diesem Grunde nicht wie bisher mit diesen Fragen alleine lassen, sondern zumindest versuchen, sie gemeinsam zu beantworten. Leider gibt es momentan so gut wie keine Vorbilder, die die Jugendlichen auch ermutigen könnten, die Fragen an ihre Umwelt zu stellen. Mir persönlich haben diese beiden Tage wesentlich mehr gegeben als viele Unterrichtsstunden. Ich sage bewußt viele und nicht alle, da ich bei manchen Stunden in dem Maße zum Denken angeregt wurde und in eine derartige Euphorie geriet, daß mich die Gedanken oft noch einige Zeit verfolgten. Ich möchte noch betonen, daß diese besagten Stunden sich keinesfalls auf die kleinbürgerliche Lebenssituation bezogen; statt dessen haben wir uns mit vernetztem Denken auf der globalen Ebene auseinander gesetzt.

Abschließend möchte ich anmerken, daß mir solche Gespräche immer wichtiger werden, besonders mit Leuten, die man früher nur kurz gesehen und mit denen man höchstens mal einen Small-talk geführt hat. Sich so geistig auszutauschen, halte ich für äußerst interessant. Vielleicht kann sich durch viele tiefgreifende Gespräche in der Tat eine Welt entwickeln, auf der es nach Menuhin "wirkliches Verstehen" gibt.“

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