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Zum Tode des Alternativen Nobelpreisträgers Ken Sara Wiwa (Nigeria) in Verbindung mit der Weltethosidee, bei der es um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Lebensgrundlagen geht

"Bisher sind wir mit der Welt-Ethos-Idee, bei der es um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Lebensgrundlagen geht, nur theoretisch konfrontiert worden. Im Wesentlichen ist es ihr Ziel, die Menschen zu dem Bewußtsein einer Weltgemeinschaft zu führen und über die verschiedenen Religionen und Sitten hinaus auf einer höheren Ebene eine weltweit geltende Basis ethischer Normen zu schaffen, die diese drei oben genannten Werte beinhaltet.

Diese Idee scheint ziemlich abstrakt, doch durch die Betrachtung der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Geschehnisse in der ganzen Welt läßt sich ein brutaler Zusammenhang mit der Wirklichkeit erkennen. Plötzlich wird sichtbar, daß das Welt-Ethos nicht irgendein Hirngespinst einiger wirklichkeitsfremder Professoren und ähnlicher intellektueller Menschen darstellt, das nichts mit dem reellen Leben zu tun hat, sondern daß es die Zukunft der Welt direkt betrifft und sogar eine Notwendigkeit ausdrückt, um das friedliche Zusammenleben in sozialer sowie ökologisch - existentieller Sicht zu gewährleisten.

Der aktuellste Bezug läßt sich zu den Geschehnissen in Nigeria herstellen, die wir aus einem Bericht der "Zeit" vom 17.11. entnommen haben. Dort können die Bewohner von den drei Werten "Gerechtigkeit", "Frieden" und "Bewahrung der Lebensgrundlagen" nur träumen. Durch ihren wertvollen Bodenschatz, das Öl, durch den sie unermeßlich reich sein könnten, wurde ihr Leben zerstört und sie haben mit Bettlertum, Hunger, Armut und Krankheit zu leben und zu kämpfen. Ihr Boden, ihre Luft, ihr Wasser und damit ihre Lebensgrundlagen werden durch ihrem Wohlbefinden gegenüber gleichgültig eingestellte Weltkonzerne wie Shell, Agip und Elf, denen es nur auf Profit ankommt, rücksichtslos ausgelaugt und vergiftet. Und die Bewohner dieses Landes bekommen noch nicht einmal einen Anteil vom entstandenen Gewinn. Sie werden im Gegenteil von den Konzernen und von der Militärregierung des Landes unter Druck gesetzt und von ihren Gebieten zurückgedrängt, um die wertvollen Ölquellen freizumachen. Von dem Geld, das nach dreieinhalb Jahrzenten Ölabbau bei ca. 100 Milliarden Dollar angekommen ist, sehen sie dafür keinen Pfennig. Dieses Geld sammelt sich bei einigen wenigen Personen, die darin baden könnten, und läßt sich in Prunkvillen und anderen Luxuseinrichtungen wiederfinden. Und das soll sich gerecht nennen?

Der nigerianische Dichter Ken Saro-Wiwa erkannte diese Ungerechtigkeit und das rücksichtslose Verhalten gegenüber seinem in Nigeria lebenden Volk, den Ogoni, und setzte sich bis zu seinem Tod mit gewaltlosen Mitteln für das Überleben der Ogoni ein. Für sie stellte er die Symbolgestalt des Widerstandes dar. Und bis zuletzt, bis er von der diktatorischen Militärregierung Nigerias verurteilt und erhängt wurde, hörte er nicht auf zu kämpfen.

Aber was dieser Einsatz mit der abstrakten Idee des Weltethos zu tun haben soll, wird zunächst nicht sichtbar. Doch wenn man die Geschehnisse näher betrachtet und die Motivation Ken Saro-Wiwas durchleuchtet, stellt man fest, daß seine Gedanken und sein Verhalten die Welt-Ethos-Idee widerspiegeln. Er erkannte, daß Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Lebensgrundlagen drei der bedeutendsten, wenn nicht die bedeutendsten Werte der Menschheit überhaupt, des menschlichen Zusmmenlebens darstellen.

Und genau diese drei Werte, die auch die Basis des Welt-Ethos bilden und die er bei seinem Volk nicht erfüllt sah, gaben ihm die Motivation, die Berechtigung und die Kraft zu seinem Widerstand.

Er kämpfte gegen die multinationalen Ölkonzerne und ihre Rücksichtslosigkeit, durch die das Land der Ogoni zerstört wird und die Nahrungsmittelvorräte sinken. Damit kämpfte Ken Saro-Wiwa eine Abstraktionsstufe höher gesehen für die Erhaltung der Lebensgrundlagen, den einen der drei Werte, die die Verbindung zur Welt-Ethos-Idee herstellen.

Ebenfalls enthalten in Ken Saro-Wiwas Einsatz war der Kampf für die Gerechtigkeit, die den zweiten abstrakten Wert des Welt-Ethos bezeichnet. Denn von Gerechtigkeit kann nicht die Rede sein, wenn sich einige wenige Personen, die großen Gewinn durch das Ölgreschäft machen, diese riesige Menge an Geld für ihre persönlichen Zwecke einstecken und andererorts verschwenden, während die Ogoni und andere Volksstämme Nigerias nur dafür, daß diesen Personen "goldene Nasen wachsen" können, mit einer zerstörten Umwelt, Hunger, Armut und Elend zu kämpfen haben. Zusätzlich werden sie von der Militärregierung des Landes unterdrückt und teilweise dazu gezwungen, ihr Land für Bohrstellen neuer Ölquellen zu verlassen. Und wenn dann einmal Wiedergutmachungsgelder für hinterlassene Schäden von den Konzernen zugeschickt werden, verschwinden diese Gelder bei Konzernangestellten oder anderen Mittelsmännern, bevor sie bei den Ogonis überhaupt angekommen sind.

Auch wenn uns genaue Hintergründe nicht bekannt sind, kann man diese Vorgänge nur mit dem Wort "Ungerechtigkeit" bezeichnen. Und dagegen, gegen die ungerechte Verteilung von Gütern, gegen eine aus persönlicher Geldgier verursachte Hinterziehung von Geldern, die das Leben anderer Menschen retten könnte, gegen die Terrorisierung durch eine Militärdiktatur und somit für Frieden kämpfte Ken Saro-Wiwa.

Gleichzeitig damit kämpfte er für den Frieden als dritten Wert des Welt-Ethos und gegen den Unfrieden, der sich durch die allgemeine Situation in bezug auf die anderen beiden Faktoren Ungerechtigkeit und Zerstörung der Lebensgrundlagen bei den Ogoni entwickelt.

Daß diese drei Werte zusammenhängen und auch nur zusammen erreicht werden können, wird dabei sichtbar. Denn die Lebensgrundlagen, die die Grundlagen für unser bloßes biologisches Existieren darstellen - wobei das soziale Leben dabei noch gar nicht beachtet wird - , können zum einen durch bestehenden Unfrieden in der Welt zerstört werden, umgekehrt kann ihre Zerstörung aber auch Unfrieden hervorrufen - wie in Nigeria. Ebenso verhält es sich mit der Beziehung zwischen Ungerechtigkeit und Unfrieden, bei der das eine aus dem anderen hervorgeht und umgekehrt. Auch die Zerstörung der Lebensgrundlagen hängt mit Ungerechtigkeit zusammen. Es kann nicht als gerecht bezeichnet werden, wenn wir die Lebensgrundlagen anderer zerstören.

Zurück zu den Geschehnissen in Nigeria hängen auch hier alle drei Begriffe unvermeidbar zusammen: sowohl eine Zerstörung der Lebensgrundlagen als auch erfahrene Ungerechtigkeit führen zu Unfrieden in der Bevölkerung. Bisher haben sich die Ogoni meistens mit gewaltlosen Mitteln zu wehren versucht, doch durch den Seelenhaushalt des Leides werden sie früher oder später zu Gewalt verleitet. Wenn sie wüßten, wie das Öl aus ihrer Region anderen Leuten zum Reichtum verhilft, wenn sie die prunkvollen Bauten der nigerianischen Elite in London sehen könnten, wäre es mit ihrer Friedfertigkeit schon längst vorbei; denn dann würden sie sich der tiefen Ungerechtigkeit bewußt werden, die ihr Leben prägt und ihnen würde auffallen, daß die Sprache der Gewalt ihrer Wut viel eher entspricht und auch viel mehr erreicht. Und das wäre schon der Anfang eines Krieges. Aber gerade einen Krieg wollte Ken Saro-Wiwa wahrscheinlich nicht erreichen, sondern er versuchte, die Ursachen von Unfrieden, nämlich die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Ogoni sowie die Ungerechtigkeit, die sie erfahren, zu bekämpfen, indem er mit gewaltlosen Mitteln versuchte, die Ölkonzerne und die Regierung zu einer Änderung der Situation zu bewegen.

Doch diese Probleme betreffen nicht nur die bestimmten Großkonzerne und das Land Nigeria - denn damit könnte dieses Thema leicht abgeschoben werden - ; sie betreffen uns genauso. Denn zunächst müssen auch wir uns für das Schicksal der Ogoni verantwortlich fühlen, da wir die Kunden der Ölkonzerne sind, da wir die Abnehmer der Unheil verrichtenden Güter darstellen. Und noch eine Stufe höher gesehen, müssen wir uns für das Schicksal der ganzen Welt verantwortlich fühlen. Denn nicht nur in Nigeria herrschen Unfrieden, Ungerechtigkeit und werden die Lebensgrundlagen zerstört, sondern überall auf der Welt lassen sich Beispiele dafür finden, wie der Krieg in Bosnien, der ein zerstörtes Land, Millionen von Toten und Verletzten und unglückliche Menschen mit sich geführt hat, oder die Atomtests von Frankreich, die die Lebensgrundlagen vieler Menschen gefährden und die die Lebenswürde vieler Menschen verletzen, oder die Umweltverschmutzung allgemein auf der ganzen Welt - um nur drei Beispiele zu nennen.

Anhand dieser aktuellen konkreten Beispiele wird sichtbar, daß die abstrakten Welt-Ethos-Gedanken mit Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Lebensgrundlagen Werte beinhalten, die die ganze Welt direkt angehen und die deshalb die ganze Welt untereinander verbinden. Über diese Ebene können und müssen wir uns begegnen. Es kann nämlich nicht so weitergehen, daß die Zerstörung der Lebensgrundlagen und die Ungerechtigkeit, die unweigerlich zu Unfrieden, zu gesellschaftlichen Spannungen, zu Gewalt und im extremen Fall zu Krieg führen, weiterhin anhalten.

Natürlich sind wir nun glücklich darüber, daß der Krieg in Bosnien vorbei ist, aber warum mußte er überhaupt beginnen? Konnten wir nicht alle am Anfang sehen und verhindern, was dann in den vier Jahren des Schreckens passiert ist? Genauso steht es mit den Geschehnissen in Nigeria und dem Einsatz Ken Saro-Wiwas. Erst jetzt, nach seinem Tod, wird man auf das Leiden der Ogoni und auf Saro-Wiwas erstrebenswerte Bemühungen in Richtung eines Lebens im Zuge der weltethischen Werte Gerechtigkeit, Frieden und Rettung der Lebensgrundlagen aufmerksam. Aber das Bewußtsein kann nicht erst wach werden, wenn jemand getötet wird oder eine Katastrophe geschieht. Deshalb ist es wichtig, unsere Einstellung jetzt so zu ändern, daß wir uns im Verständnis zu allen Völkern der Erde verhalten und unser Leben vor allem nach den Werten der weltweiten Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Lebensgrundlagen aller gestalten und auch anderen zu dieser Bewußtseinsentwicklung behilflich sind.

Diese Intention verdeutlichen auch die Autoren Donella und Dennis Meadows und Jorgen Randers in ihren Büchern "Die Grenzen des Wachstums" und "Die neuen Grenzen des Wachstums". In den den Büchern zugrundegelegten Simulationsläufen, die das Team für die Zukunft erstellt hat, erkennt man, daß bei gleichbleibenden bzw. sich im gewohnten Maße ändernden Verhältnissen - sogar ohne Ausbruch neuer Kriege - eine Katastrophe vorprogrammiert ist, und das nicht in allzuweiter Ferne.

Deshalb ist es wichtig, unser Bewußtsein schnellstens zu ändern. Vor allem der Wunsch nach materiellen Dingen und das Streben nach Wachstum und persönlichem Reichtum ohne Rücksicht auf andere müssen abgeschwächt werden. Wir müssen uns bewußt werden, daß das Leben nicht uns führt, daß das Leben nicht alles für uns regelt und alles schon gut werden wird, sondern daß wir das Leben führen und in unseren Händen halten. Diese Einsicht verändert unser Lebensgefühl zwar dramatisch, indem wir aus unserer Sicherheit gerissen werden und mit Unsicherheit und einem Gefühl der "kosmischen Verlassenheit" konfrontiert werden, doch sie verhilft uns zu einer Bewußtseinsänderung, die für das weitere Leben auf der Erde wichtig und sogar notwendig ist.

Es ist natürlich auch eine Möglichkeit, der Auffassung zu folgen, einer Katastrophe nicht vorbeugen zu können und deshalb das Leben, so gut wie es für sich persönlich möglich ist und ohne Rücksicht auf die Umwelt, bis zum Ende nur zu genießen und nach eigenem Vorteil auszunutzen. Aber diese Einstellung widerspricht dem Verantwortungsgefühl, das jeder für die Umwelt haben müßte. Sie bezeichnet eine Art Egoismus, der verdrängt, daß es anderen Menschen durch unachtsames, eigennütziges Verhalten schlecht geht oder schlecht gehen wird (Nachkommen).

Aber gerade diese Einstellung dürfen wir uns nicht angewöhnen, nur weil sie einfacher und bequemer scheint und weil wir das Glück haben, in einem fortschrittlichen Land ohne momentan ernsthafte existentielle Probleme zu leben. Unserer nächsten Generation kann es dagegen durch unser Verschulden schon viel schlechter gehen, wenn wir unser Bewußtsein nicht ändern und die Probleme, die auf der Welt herrschen, nicht als unsere eigenen ansehen und uns damit befassen. Wir können uns nicht - wie in dem Buch "Sofies Welt" so schön gesagt wird - tief im Kaninchenfell des Lebens verkriechen, sondern wir müssen an den dünnen Haaren bis an den Rand emporklettern und uns den Problemen des Lebens jetzt und in der Zukunft stellen.

Denn auch wenn diese Probleme an einer ganz anderen Stelle der Welt herrschen, gehen sie die Welt etwas an, und die Welt geht uns etwas an, da wir sozusagen die Welt sind. Deshalb müssen wir unser Bewußtsein so verändern, daß wir uns unserem Verantwortungsgefühl gegenüber der Welt stellen. Und alle gemeinsam müssen wir versuchen, den "Karren aus dem Dreck zu ziehen", was alleine nicht möglich ist.

Dieses Weltverständnis entfaltet sich in der Offenheit gegenüber anderen Völkern und deren Sitten.

Werte wie Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Lebensgrundlagen sind es, die die unterschiedlichen Völker mit ihren unterschiedlichen Sittenkodizes miteinander verbinden und ein übergeordnetes Ethos bilden, das für die ganze Welt gilt - das Weltethos.“

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