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„Verantwortung gegenüber einer höheren Instanz“ - Prof. Küng im Hause Albano-Müller

Schwelm. (sk) Normalerweise diskutiert er mit UNO-General-sekretär Kofi Annan, dem Bundespräsidenten und dessen Vorgängern, Ex-Kanzler Helmut Schmidt oder mit dem Chef der Weltbank - nun war Prof. Dr. Hans Küng bei Saraswati Albano-Müller in Schwelm zu Gast.

Prof. Küng rief im Jahr 1990 mit seinem gleichnamigen Buch das „Projekt Weltethos“ ins Leben. „Global denken, lokal handeln“, so lautet der Leitspruch, dem auch die Tradition der „Philosophischen Gastmahle“ im Hause Albano-Müller folgt. Seit mittlerweile fünf Jahren treffen sich in der Villa an der Hauptstraße philosophisch interessierte Jugendliche und diskutieren mit hochkarätigen Gästen. Treibende Kraft ist dabei Klaudius Gansczyk, der auch den Küng-Vortrag in Schwelm initiierte und als Mitorganisator der Veranstaltung wirkte. Professor Mall und Professor Hösle waren bereits in Schwelm, auch Hans Küng hatte schon einmal - sozusagen „virtuell“ - teilgenommen: Zum „Philosophischen Gastmahl“, das sich im Dezember mit dem Welt-ethos befaßte, sandte er Grüße per E-Mail. Als er nun in natura die Kreisstadt besuchte, empfingen ihn die zahlreichen Zuhörer mit kräftigem Beifall und lauschten anschließend gebannt seinen Ausführungen.

Mit hellwachen Augen und schwungvollen Gesten erläuterte er die Idee des Weltethos, die er seit 1995 mit dem „InterActionCouncil“ formuliert. Der Ehrenvorsitzende, Altkanzler Helmut Schmidt, hatte Küng seinerzeit gebeten, an der Zielsetzung mitzuwirken, „ein gemeinsame Weltethos in das Bewußtsein der verschiedenen Kulturen zu heben“.

„Ein gemeinsames Ethos ist nicht eine gemeinsame Religion“, erklärte Professor Küng in Schwelm. Es gehe nicht um die Abschaffung der einzelnen Religionen - im Gegenteil: „Jede Religion kann aus ihrem Wesen etwas beitragen, ohne daß eine andere etwas aufgeben muß.“ Konkret bedeute dies: „Ein Christ kann als Christenmensch weiterleben, nur muß er eben akzeptieren, daß ein Jude weiterhin nach seinen eigenen Überzeugungen lebt.“ Ein Welt-ethos könne - wegen der anderen Vorstellung der Buddhisten - nicht auf dem Gottesbegriff begründet werden. Und auch Atheisten müßten sich darin wiederfinden; Menschen also, „die an keine letzte Wirklichkeit glauben und keine anderen Ideale haben als Fußball und Bier“.

Ein Weltethos müsse von gläubigen und ungläubigen Menschen gleichermaßen anerkannt werden können, „weil viele Menschen keine religiösen Wurzeln mehr haben“.

Einen Grund für die Unsicherheit vieler Christen sieht Küng in der „Dogmatik des Christentums“, die auch zum Siegeszug der Muslime im siebten Jahrhundert beigetragen habe. „Für viele Menschen waren einfache Lösungen leichter zu verstehen als die komplizierte Dogmatik.“

Professor Küng sieht es als bedeutsam an, vor allem „in Ostdeutschland über die Bedeutung der Religion auch im Schulunterricht neu nachzudenken“. Die Wertediskussion müsse in den Schulklassen konkret geführt werden. Grundregeln menschlichen Zusammenlebens wie: „Man darf andere Menschen nicht töten“ bekämen durch die Religion „eine ganz andere Autorität“ - denn es geht dann nicht nur ums „Nicht-Erwischtwerden durch die Polizei“, sondern um die Verantwortung gegenüber einer höheren Instanz“, nämlich „Gott als absolute Größe“.

Die Weltethos-Idee, so Professor Küng, bringe nicht die Abschaffung eigener Interessen mit sich. Zur Verdeutlichung führte er die deutsch-französische Vergangenheit an. „Die Menschen haben verstanden, daß es zu nichts führt, seine Feinde vernichten zu wollen - und nun haben wir in Europa seit mehr als 50 Jahren keinen Krieg mehr gehabt.“

Es sei ganz natürlich, daß Frankreich und Deutschland unterschiedliche Interessenslagen hätten - dennoch seien beide Länder längst keine Feinde mehr. „Wenn bei uns eine solche Entwicklung möglich war, warum soll es dann nicht auch eine Friedenslösung für den Nahen Osten geben?“, fragte Professor Küng.

Die Weltethos-Idee können ein Paradigma hervorbringen, „das keine Feinde mehr braucht und keine neuen aufbaut - auch nicht zum Beispiel den Islam“. In diesem Zusammenhang übte der hochkarätige Redner harsche Kritik an der Politik der USA

„Warum muß man einen ganzen Staat angreifen, Zerstörungen anrichten und Tausende Menschen töten, wenn man ein Netzwerk treffen wollte?“, fragte Professor Küng mit Blick auf den Krieg in Afghanistan. Er attackierte die „unerträgliche Kriegsrhetorik“ von Präsident Bush, dessen Pläne zum Angriff auf den Irak er einen „Wahnwitz“ nannte. „Wir haben genug andere Aufgaben, zum Beispiel den Kampf gegen die Armut“, so Küng. Es sei Aufgabe der europäischen Politiker, die Amerikaner „deutlicher als bisher“ zu warnen.

Im Anschluß an Professor Küngs Vortrag kam es zu einer lebhaften Diskussion. Der Gastredner antwortete auf zahlreiche Fragen aus dem Publikum und schnitt dabei auch aktuelle Themen an. Die Ereignisse in Erfurt gehörten unter anderem dazu. Professor Küng sprach sich zwar für eine Verschärfung der Waffengesetze aus, unterstrich jedoch zugleich: „Die Gesetzgebung ist nicht das Hauptproblem, sondern die Errichtung von Werten und Normen.“ Diese müßten wiederum für religiöse und nicht religiöse Menschen gleichermaßen gelten: „Ein Mensch kann auch ohne Religion Moral haben.“

Nach der Diskussion im Plenum hatten die Besucher des Vortrages im Hause von Saraswati Albano-Müller noch Gelegenheit, am Buffet weiter zu diskutieren.

Nach drei Stunden mit Professor Küng waren sich alle einig: Der Mann, der 1963 mit US-Präsident Kennedy im Weißen Haus diskutierte und von Gesprächen mit Johannes Rau, Roman Herzog oder Peter Scholl-Latour berichten konnte, hat viel zu sagen - und es war für die Zuhörer ein faszinierendes Erlebnis, die Weltethos-Idee einmal direkt von ihrem weltbekannten „Erfinder“ erläutert zu bekommen.

(Quelle: Schwelmer Stadtanzeiger vom 15.06.2002)

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