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  Vom Abi-Ball zur Geburtstagsfeier von Carl Friedrich von Weizsäcker - Tim Gansczyk (19) musizierte für den Physiker und Friedensforscher
Ennepetal. (sk) Das Abitur in der Tasche, ein neuer Lebensabschnitt beginnt - der „Abi-Ball“ ist für Gymnasiasten der Abschied von der Schule und deshalb ein wichtiges Ereignis. Der Ennepetaler Tim Gansczyk allerdings, der sein Abitur mit der Durchschnittsnote 1,3 bestanden hat, wird das vorvergangene Wochenende noch aus einem ganz anderen Grund in Erinnerung behalten: Gleich nach dem Abi-Ball ging es für ihn noch in der Nacht nach Eichstätt bei München. Am anderen Morgen brachte er dort dem Philosophen, Physiker und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker ein Geburtstagsständchen.

Der ältere Bruder des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker feierte seinen 91. Geburtstag im Festsaal der Universität. Die besondere Ehre, vor der Gästeschar zu musizieren, verdankt Tim Gansczyk dem ehemaligen Abteilungsleiters an der Hagener Volkshochschule, Dr. Ulrich Bartosch. Dieser organisierte nun als Professor im südlichen Eichstätt für von Weizsäcker die Geburtstagstagung und erinnerte sich daran, daß Tim vor zwei Jahren seinen Abschied von der Volkshochschule Hagen mit dem Cello musikalisch untermalt hatte.

Tim interessiert sich innerhalb und außerhalb der Schule für die Zukunftsgestaltung unter politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und interkulturellen Aspekten - er gehörte auch zu denjenigen Schülern des Hagener Theodor-Heuss-Gymnasiums (THG), die im vergangenen Jahr am hochrangigen Kongress der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) in Berlin zum Thema „Demokratie und Nachhaltigkeit - Wer kümmert sich um unsere Zukunft?“ teilnahmen und die zum gleichen Thema in der Aula des THG den Vortrag von Ernst Ulrich von Weizsäcker, dem Sohn von Carl Friedrich von Weizsäcker, hörten.

Tims Vater, Klaudius Gansczyk, hat sich unter anderem als Organisator der „Philosophischen Gastmahle“ im Schwelmer Haus von Saraswati Albano-Müller einen Namen gemacht.

Tim Gansczyk (li.) musizierte in Eichstätt für Carl Friedrich von Weizsäcker. Sein Vater Klaudius Gansczyk (2. v.re.) begleitete ihn.
Dr. Ulrich Bartosch (re.) hatte die Idee, den Ennepetaler einzuladen.

Vor mehr als einem Vierteljahrhundert wurde der Philosophielehrer in seinem Examen über Carl Friedrich von Weizsäcker geprüft - nie hätte er damals geglaubt, daß mehr als 25 Jahre später sein Sohn dem großen Philosophen und Friedensforscher ein Ständchen zum Geburtstag bringen würde.

Viel Zeit blieb dem jungen Ennepetaler im Vorfeld nicht zum Üben. Erst eine Woche vor der Feier kam der Anruf von Dr. Bartosch, der übrigens beim Jubiläums-Gastmahl in Schwelm einen Vortrag zu von Weizsäckers Weltinnenpolitik hielt.

Tim Gansczyk trug für den Bach-Liebhaber von Weizsäcker das Prelude aus der 1. Suite von Bach vor - „ein Stück, das ohnehin zu meinem Repertoire gehört“, so berichtet Tim schmunzelnd, „ich mußte es also nur ein wenig ,aufpolieren´ und nicht noch etwas Neues einstudieren.“

Der 19jährige verfügt über reichlich Bühnenerfahrung, gewann bereits beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ erste Preise und war mit dem Märkischen Jugendorchester im Millenium-Jahr in der Londoner Royal-Albert-Hall zu hören. Für einen so bedeutenden Jubilar wie Carl Friedrich von Weizsäcker zu spielen, das sorgte dann aber doch für einiges Lampenfieber.

Beim Mittagessen bedankte sich von Weizsäcker bei Tim, und im Tischgespräch erzählte er ihm, daß er als Gymnasiast acht Schulen an verschiedenen Orten besuchte habe, da seine Eltern so oft umgezogen seien.

„In welche Zukunft gehen wir?“ - diese Frage wurde bei der Festveranstaltung in Eichstätt diskutiert. Mit Spannung lauschte Tim Gansczyk den Worten des weltberühmten Physikers, Philosophen und Friedensforschers in seiner Stel-

lungnahme zu den Vorträgen und den Gratulationen. Von Weizsäcker brachte seine Freude zum Ausdruck, daß der Biologieprofessor Martin Heisenberg - der Sohn seines „verehrten Lehrers und Freundes“ Werner Heisenberg - ihn mit einem wichtigen Vortrag zum Thema Wissenschaft und Verantwortung geehrt habe.

In bewegenden Worten formulierte der 91jährige Jubilar als zentrales Thema seines Lebens die Forderung der Bergpredigt, daß man nicht mehr Krieg führen dürfe: „Ich habe mehrere Kriege erlebt, aber ich war doch der Meinung und bin noch der Meinung, daß die Institution des Krieges auf Dauer überwunden werden müßte. Wenn das nicht geschieht, dann weiß ich nicht, wie die Menschheit auf die Dauer sich selbst ertragen will oder weiterleben will."

Am Beispiel des Verhältnisses von Frankreich und Deutschland belegte das 91jährige „Geburtstagskind“, daß auch zwischen ehemals verfeindeten Nachbarn die „Institution des Krieges“ offensichtlich überwunden werden kann.

„Wenn das aber so ist, dann müßte die Menschheit auch lernen - nicht nur zwischen zwei benachbarten Nationen, sondern im weiteren Umfang -, daß man miteinander friedlich leben sollte.“

Gedanken wie diese machen Carl Friedrich von Weizsäcker zum „geistigen Großvater“ der „Philosophischen Gastmahle“ in Schwelm. „Brücken in die Zukunft“, „Weltinnenpolitik“, „Weltethos“ und „Philosophie der ökologischen Krise“ - das sind Themen, die junge Menschen mit hochkarätigen Gästen bei Saraswati Albano-Müller in der Kreisstadt diskutierten.

Von Anfang an, noch zu Zeiten des Kalten Krieges, unterstützte von Weizsäcker die Weltethos-Idee von Hans Küng - den Klaudius Gansczyk bereits im vergangenen Jahr für einen Vortrag in Schwelm begeistern konnte.

„Über das Parlament der Weltreligionen und über die Menschenpflichtenerklärung des InterActionCouncils ist die Weltethos-Idee in Kofi Annans Manifest der Kulturen (,Brücken in die Zukunft´) eingegangen“, erläutert Gansczyk.

Vor einem Jahr bezeichnete die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, aus Anlaß von Carl Friedrich von Weizsäckers 90. Geburtstag, UNO-Generalsekretär Kofi Annan als einen „Schüler“ des Jubilars. Und auch Michail Gorbatschow lobt von Weizsäckers „Weltinnenpolitik“ in seinem Buch „Das Neue Denken“ als zukunftsweisend.

Klaudius Gansczyk hatte bereits vor zwei Jahren die Ehre, von Weizsäcker im Hause von Dr. Bartosch persönlich kennenzulernen. Sein Sohn war von der Begegnung mit dem weltberühmten Vordenker nun ebenfalls tief beeindruckt. Gut möglich, daß sich Tim auch noch in einem ähnlich hohen Alter an diese Begegnung am ersten Tag nach der Gymnasialzeit erinnern wird. Einen besseren Start in den neuen Lebensabschnitt hätte er sich wohl kaum wünschen können . . .

(Quelle: Schwelmer Stadanzeiger vom 09.07.2003)

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